III. Wie ein Bild entsteht

                                                                 Gert Gekeler

1. Drei Beispiele: Sägespuren, Landschaften und parlierende Schatten

 

2. Äußere Momente der Bildgestaltung

2.1.Computersoftware: Die Leichtigkeit des Löschens

2.2. Fotomotive            

Stimmung beim Fotografieren, Offenes Suchen, Absichtlich und unabsichtlich sehen, Brauchbare Fotos und die Freude darüber, Suchen und Finden in kunsthistorischer Perspektive, Speichern von Fotos

       2.3.Vorbilder, Kunstmarkt und anthropologische Dimensionen

3. Innere Momente der Bildgestaltung: Bildideen

 

4. Material für die Bildbearbeitung gewinnen

 

5. Aspekte der Bildbearbeitung

       5.1. Gründe, die die Bildbearbeitung tragen

             Technische Grundlage, der Bezug auf andere, humane Grundlagen

      5.2. Bildideen im Verlauf bildnerischen Gestaltens am Computer

            Konkurrierende Bildideen, Akzeptanz einer Bildidee, Das Neue, Glück und Zufriedenheit

      5.3. Abschluss der Bildbearbeitung

             Die Passung von Bild und Bildidee, Titel und Versprachlichung der Bildidee, Mehr oder weniger Kunst

6.    Motivation zu bildnerischem Gestalten


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2.    Äußere Momente der Bildgestaltung

 In der Unterscheidung von inneren und äußeren Aspekten der Bildbearbeitung sehe ich mich gleichsam vor dem Computer sitzen: „draußen“ die äußeren Aspekte (Eigenarten der Software, Fotomotive, andere Menschen), „innen“ Bildideen, Emotionen, Motivationen, Denkprozesse. Die Trennung in ein Außen und ein Innen soll der Vereinfachung der Darstellung dienen. Tatsächlich bedingen sich Innen und Außen gegenseitig wie die Zahnräder eines Getriebes. Deshalb muss bei der Darstellung des Gestaltungsprozesses immer wieder beim Außen auf das Innen und umgekehrt Bezug genommen werden.

2.1 Computersoftware: Die Leichtigkeit des Löschens

Ein überaus wichtiges Moment beim künstlerischen Arbeiten am Computer ist, dass sich ein Vorgang spurenlos rückgängig machen lässt. Vieles lässt sich ausprobieren, es kann ja mit Leichtigkeit Schritt für Schritt rückgängig gemacht werden. Das gibt es so nirgends im Bereich bildnerischen Gestaltens.

Zwar ist das Rückgängigmachen ein rascher Akt, aber ihm geht oftmals ein längerer Prozess des Überlegens und Zweifelns voraus, ob denn die letzte Änderung oder gar mehrere davon tatsächlich rückgängig gemacht werden sollen oder nicht.

Der Gestaltungsprozess hat etwas Unruhiges, fast schon Fahriges an sich, was nur durch das, was ich Bildidee[1] nenne, Struktur erhält. Eine Konsequenz aus der Leichtigkeit, mit der ein Bearbeitungsschritt gelöscht werden kann, ist, dass immer noch etwas Neues ausprobiert werden kann.

Der Gestaltungsprozess hat weder ein logisches noch ein objektiv geregeltes Ende. Er ist einfach nie zu Ende, sondern kann grundsätzlich immer weiter fortgeführt werden, weil die letzten Schritte zurückgenommen und durch neue ersetzt werden können. Er vollzieht sich sozusagen in einem Wirbel von Vorläufigkeiten. Es gibt dementsprechend auch kein endgültig fertiges Bild, immer nur Bilder, die vorläufig fertig sind und die neu bearbeitet werden können, wenn sie aus dem Ordner, in dem sie gespeichert sind, hervorgeholt werden.

In den Prozess der sukzessiven Veränderungen geht viel Erfahrung ein. Ich weiß aus früheren Versuchen, dass bestimmte Manipulationen am Computer diesen oder jenen Effekt haben können. Dennoch ist das tatsächliche Ergebnis oft überraschend: Selbst kleine Änderungen können das ganze Bild in einem neuen Licht erscheinen lassen. Trotz aller Erfahrung erlebe ich das Ausprobieren als wichtigen Teil meiner künstlerischen Tätigkeit. Es bleibt meine Aufgabe und meine Leistung, das zu finden, was fruchtbar fortgeführt werden kann. Es sind viele freudige „Heurekas“, die den Gestaltungsprozess begleiten und durchziehen. Wenn eine Änderung akzeptiert und sozusagen zum Bestandteil des sich entwickelnden Bildes geworden ist, folgt der nächste Änderungsversuch.

2.2. Fotomotive

In den drei eingangs dargestellten Beispielen lässt sich unschwer erkennen, dass ich aus eigenen Fotos Bilder am Computer mache. Fotos sind das Material, das ich gleichsam verbrauche. An sie habe ich keine besonderen ästhetischen Ansprüche. Um Fotos für den Gestaltungsprozess zur Verfügung zu haben, muss ich aber brauchbare Fotomotive in meiner Umgebung suchen und finden. Eine damit verknüpfte Suchhaltung ist mir fast schon zur zweiten Natur geworden. Wie stark sie auch dann ist, wenn ich ohne Kamera unterwegs bin, mag das folgende Beispiel verdeutlichen.

Beim Spazierengehen sah ich, wie durch eine Art Loch im Wald, Fichten. Ihre Stämme hatten unterschiedliche Farben und ich hatte den Eindruck, als seien sie sehr hoch. Andere Fichten in der Umgebung schienen nicht so hochgewachsen. Ich habe diese „Hochstammfichten“ nicht gesucht, sie drängten sich mir irgendwie auf. Es war so, als bräuchte ich genau davon ein Foto, um ein Bild mit der Aussage „Hochstämmigkeit“ machen zu können.

Ich hatte ausnahmsweise keine Kamera bei mir, konnte also kein Foto machen. Ein paar Tage später versuchte ich, in Fotos festzuhalten, was ich gesehen hatte. An der entsprechenden Stelle konnte ich aber kein Loch im Wald finden. Die Fichten waren rundherum alle gerade so hochstämmig, wie es Fichten eben sind. Mir scheint im Nachhinein, dass ein Wunsch nach einem neuen Bild „Hochstämmigkeit“ meine Wahrnehmung dominiert hat. Gelenkt durch ein bereits früher angefertigtes Bild mit dem Titel „Filigrane Hochstämmigkeit“ hat sich wohl eine Suchhaltung verselbständigt und sich meiner Wahrnehmung bemächtigt.     
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[1] Ausführlich dazu III.3